Eyes Wide Shut

Eine Zeit lang dachte ich, dass sich der Umstand, dass Bill Harford – so sehr er sich auch bemüht – nicht dazu kommt, seine Frau zu betrügen, auf Komplexen beziehungsweise einer Unfähigkeit, sich von der Rolle des zivilisierten, von der Sexualität distanzierten Arztes zu lösen oder – um es mal mit einem freudschen Terminus zu formulieren – auf der Überpräsenz des Über-Ichs beruft. Das mag zum Teil auch stimmen, insbesondere aber – und auch hier erweist sich Stanley Kubrick vor allem als soziologischer Filmemacher – hängt besagte Pointe damit zusammen, dass ihn in erster Linie die Gesellschaft dazu zwingt, seine Sexualität einzuschränken, symptomatisch hierbei der obskure Ball, der konsequent darauf bedacht ist, ihn aus dem hedonistischen Treiben auszuschließen, während der Rest der High Society nach Lust und Laune – pardon – hemmungslos ficken kann. Die Frage ist nur: Wieso?

Der Grund ist ein ganz simpler: Bill Harford ist Arzt, sprich: Er ist dafür zuständig, die Patienten von den ganzen Krankheiten, die sie sich bei ihren Exzessen eingefangen haben, zu heilen. Wenn er an dem Treiben selbst teilnehmen würde, gäbe es keinen Heiler und ohne Heiler keine gefahrlosen Exzesse. In der Hinsicht sind die ganzen Verfolgungen, Beschattungen und die ganze Angstmache in der Tat kaum mehr als eine grausame Farce, bei der eine Prostituierte mit ihrem Leben bezahlen muss, bestimmt, weil sie zwar attraktiv ist, aber doch zu sehr am Rande der Gesellschaft lebt, um in dieser eine ernsthafte Rolle spielen zu können. Hier offenbart sich eine grausame Logik, nach der Kubricks Gesellschaft handelt: Gefickt haben wir die, brauchbar ist sie jetzt nicht mehr (davon, dass sie selbstverschuldet an einer Überdosis gestorben ist, gehe ich nicht aus, zu zufällig sind die Ereignisse, am ehesten liegt meinerseits die Vermutung nahe, dass sie von der Gesellschaft in die Drogensucht gedrängt wurde, aber das ist nur Spekulation). Diese Farce zwingt Bill am Ende auch dazu, seiner Frau Alice voller Scham alles zu gestehen und durch dieses Geständnis kommt es auch zur finalen Einigung: Wir müssen ficken (dass Alice nicht „Liebe machen“ sagt, ist symptomatisch, diesen Terminus benutzt sie nur beim Matrosen, von dem sie träumt). Dann ertönt wieder der Walzer, die nächste Party steht an, der Arzt und seine Frau dürfen zwar gerne flirten, aber im Gegensatz zu den anderen nicht ficken. Sie sind ja verheiratet.

Kubrick stellt somit eine Gesellschaft dar, in der das freie Ausleben des Begehrens für gewisse Mitglieder ein Tabu oder bestenfalls nur in eingeschränktem Maße möglich ist, weil sie entweder aus beruflichen Gründen ungeeignet oder – siehe die Szene mit der Tochter des verstorbenen Patienten von Bill, die meines Erachtens die traurigste des ganzen Films ist – schlichtweg zu alt und zu unattraktiv sind. Erlaubt ist da nur der Traum von besagtem Ausleben. In der Hinsicht bleibt mir in Bezug darauf, dass dies Kubricks letzter Film ist, nur noch eines zu sagen: What a bitter way to go.

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2001: Odyssee im Weltraum

So schweigt mir doch von allen Göttern! Wohl aber könntet ihr den Übermenschen schaffen. Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder! Aber zu Vätern und Vorfahren könntet ihr euch umschaffen des Übermenschen: und Diess sei euer bestes Schaffen!

Wenn es ein Thema, einen roten Faden bei 2001: Odyssee im Weltraum gibt, dann ist es das Streben nach etwas Übermenschlichem, nach der Erweiterung der eigenen Möglichkeiten, sprich: nach Evolution. Sowohl der Affe, der lernt, den Knochen zum Nahrungserwerb und zur Selbstverteidigung zu nutzen, als auch die Wissenschaftler, die versuchen, den Monolith zu verstehen und greifbar zu machen (im Film ist später von „intelligentem Leben“ die Rede, eine Möglichkeit, zur Außenwelt Kontakt aufzunehmen, um die eigenen Grenzen auszuweiten?), als auch Dave Bowman, der sich in eine Anders-Welt begibt, um am Ende (als Übermensch?) doch nur wiedergeboren zu werden.

Bemerkenswert an dem Film hierbei ist jedoch, wie ambivalent er seine Thematik behandelt, verdeutlicht er doch, dass eine Weiterentwicklung auch immer mit (Selbst-)Zerstörung verbunden ist: auf der einen Seite der Menschenaffe, der es schafft, sich selbst und seine Umgebung zu beschützen und zu versorgen, hierfür aber morden muss, auf der anderen HAL 9000, eine von Menschen geschaffene hyperintelligente Technologie, dessen Ego zerstörerische Ausmaße annimmt. Ironisch ist hierbei, dass ein Ego, etwas allzu menschliches, bei einer Maschine zum Vorschein kommt. Je menschlicher der Mensch seine Technologie erschafft, desto zerstörerischer die Ausmaße, hat die Technologie am Ende mehr Macht als der unvollkommene Mensch.

So ist das Ende von 2001: Odyssee im Weltraum so triumphal wie tragisch: Wurde am Ende der von Nietzsche geforderte Übermensch erschaffen oder doch etwas halb-menschliches, das seine Macht ähnlich zerstörerisch nutzen wird wie vor ihm HAL? Wenn letzteres der Fall ist, stellt sich die Frage, ob man besagtes Wesen auch einfach so abschalten kann.

In jedem Fortschritt steckt auch ein Rückschritt und in jedem Rückschritt ein Fortschritt. Wenn es etwas gibt, was ich aus dem Film mitnehmen kann, dann das. Nach wie vor ein übergroßer Film.

Herzensbrecher

Ein mir logisch erscheinender Grund, wieso der ohnehin schon viel gescholtene Xavier Dolan für seinen zweiten Film Les amoures imaginaires besonders viel Kritik einzustecken hat, ist der, dass wir es hier mit seinem radikalsten Film zu tun haben. Der Film ist ein Konglomerat aus allem, was Dolan-Kritiker zu Dolan-Kritikern macht: populäre Musik wird genutzt, um Szenen und Personen zu charakterisieren; filmische Möglichkeiten werden bis zum geht nicht mehr ausgereizt; nicht selten machen die Charaktere einen ziemlich oberflächlichen Eindruck, was durch die Verwendung von Dalidas Bang Bang und Dolans von James Dean inspirierte Frisur noch zusätzlich verstärkt wird. Ich aber behaupte: Les amours imaginaires ist Dolans Opus Magnum.

Bekommen wir es bei anderen Dolan-Filmen mit Darstellungen von persönlichen Schicksalsschlägen zu tun (die Entfremdung von der eigenen Mutter, die Überforderung vom psychisch-kranken Sohn, der baldige Tot u.a.), ist Les amours imaginaires hingegen eher als Essay zu verstehen. Stellt Dolan zu Beginn die Behauptung, nichts sei unvernünftiger als die Liebe, auf, so ist er die weiteren 90 Minuten damit beschäftigt, diese Behauptung filmisch zu begründen: Zum einen beobachten wir Menschen, die sich darüber wundern, dass die Liebe sie soweit gebracht hat, Stalker-Verhalten an den Tag zu legen und geradezu neurotisch ihre Hotmail-Posteingänge zu checken; zum anderen werden wir Zeuge des Entstehens von Begehren. Dolan nutzt hierbei sehr geschickt Zeitlupen, um uns die Empfindungen von Liebe und Verlangen aus den Gesichtern ihrer Charaktere ablesen zu lassen, die in der Realität kaum mehr als Momentaufnahmen sind. Abgesehen von Tom à la ferme ist das der einzige Film, in dem Dolan uns wenig von den Charakteren preisgibt. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso vor allem dieser Film auf seine angebliche „MTV-Ästhetik“ beschränkt wird. Was viele aber dabei übersehen ist die Intention Dolans, weniger Schicksale und Individuen, sondern eher Gefühle und ihre Entstehung zu beleuchten. Dafür nimmt er sich sowohl formal als auch narrativ viele Freiheiten: auf der einen Seite Verlangsamungen und musikalische Untermalungen, die die Empfindungen der so stoischen und unnahbaren Charaktere beschreiben (ein Trumpf ist Bang Bang als Leitmotiv), auf der anderen interviewte junge Menschen, die sich über die Willkür ihres Begehrens wundern.

Vermutlich kann man das als inhaltlichen roten Faden von Les amoures imaginaires bezeichnen: Menschen, die sich über ihr unlogisches Begehren, sprich: über die Unvernunft der Liebe wundern. Angeblich sind Gedanken Impulse, was bedeutet, dass wir sie nicht unter Kontrolle halten können, sprich: dass wir mit bloßer Vernunft nicht dagegen ankämpfen können. Wenn das wirklich so sein sollte: Wie können wir dann unser Begehren unter Kontrolle halten? Dolans Antwort: gar nicht. Nach diesem Film bin ich geneigt, ihm zuzustimmen.

Mi ricordo quando noi / eravamo due bambini / e puntavamo le pistole / dai cavalli a dondolo / bang bang / io sparo a te / bang bang / tu spari a me / bang bang / e vincerà / bang bang / chi al cuore colpirà

La La Land (2017)

Auf den Spannungen zwischen Genre und Epoche stapelt Chazelle seine Auszeichnungen. Auf der breiten Fläche aus klassischem Musical und Postmoderne ist schließlich genügend Platz dafür, eine stabile Brücke verbindet sie, für jeden Fleck findet er einen Weg, ihn zu füllen. Sein Film ist Wiederbelebung und Entwicklung des klassischen Musicals zugleich, die mit Brüchen in der Postmoderne liebäugelt. Beiläufig werden Monogamie, Eskapismus und Selbstreflexivität herausgekramt und dürfen in neuem Licht erstrahlen. Erstere beiden bleiben aber unangetastet, Chazelle sitzt in einem Ledersessel und redet rauchend auf den Zuschauer ein: Weiterlesen

Dogville

Natürlich wäre es in dem Wissen, das Dorf Dogville als symbolisches Amerika einordnen zu können, naheliegend, die Rolle der Grace unter Zwang zu körperlicher Arbeit für Mindestlohn sowie unter entgegenschlagender Anfeindung als die des Einwanderers in den Vereinigten Staaten zu sehen, jedoch stellt das Anwenden einer derartigen Metapher bereits eine zu große Distanz zum Geschehen her. Eine Distanz, welche die Möglichkeit gibt, sich in der Gewissheit, hier etwas politisch Relevantes gesehen zu haben, zurückzulehnen; dabei aber an der zutiefst persönlich offenbarenden Wirkung, die Dogville bietet, vorbeizuarbeiten. Weiterlesen

Six Feet Under

Wenn ich mir diverse Kommentare und Texte zu Six Feet Under durchlese, dann fällt mir auf, wie viele vor dieser Serie kapitulieren und sich zu ihrer Unfähigkeit bekennen, die Serie und das, was sie mit ihr erlebt haben, in Worte zu fassen. Ein ziemlich verständliches Gefühl, denn Six Feet Under ist so universal, dass es einem schwer fällt, seine Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ohne dabei ausschweifend zu werden. Weiterlesen

Chasing Amy

Dwight Ewell hält eine Rede gegen Rassismus in der Nerdkultur. Als er auf Widerspruch stößt, holt er kurzerhand eine Knarre hervor und läuft Amok – Alles nur Show, wie sich herausstellt, zur Vermarktung seines „White Hatin‘ Coon“-Comics. Kevin Smith bringt sein mehr als verzerrtes Weltbild bereits in den ersten 10 Minuten auf den Punkt: Das Ankämpfen gegen Unterdrückung ist natürlich nie ernstgemeint und muss ins Lächerliche gezogen werden, anscheinend weil es sowas wie Unterdrückung wohl gar nicht gibt. Natürlich würde man den Sachverhalt mit der Behauptung über Smith, diese gänzlich zu verleugnen, dann doch wieder nicht exakt treffen, handelt es sich bei Chasing Amy doch eigentlich um nichts anderes als eine lächerliche, wutbürgerliche Empörung über etwas, das Smith vermutlich unter dem Begriff „Unterdrückung“ zu verstehen scheint: Weiterlesen

Doctor Strange

Mal wieder wird ein neuer Charakter eingeführt, mal wieder wäre in einem losgelösten Umfeld die Möglichkeit zumindest vorhanden, frischen Wind in das Franchise der immerwährenden Einheitlichkeit zu bringen, mal wieder wurde genau das von überall prognostiziert – und das obwohl sich schon seit Jahren jegliche in diese Richtung gehenden Eindrücke bei Marvel-Filmen wieder und wieder als trügerisch herausgestellt haben. Wer soll den Job übernehmen? Weiterlesen